Wie macht ihr mit einer Insektenkamera Biodiversitätsberichterstattung in Echtzeit möglich?

Wie lassen sich abstrakte Themen wie das Artensterben oder die Biodiversitätskrise mithilfe von Technologie greifbarer machen? Das hat sich ein Team unter der Leitung der Wissenschaftsjournalist:innen Joachim Budde und Dr. Sigrid März gefragt – und mit „Was krabbelt da?“ eine KI-gestützte Insektenkamera so weiterentwickelt, dass Journalist:innen sie für Biodiversitätsberichterstattung direkt vor der eigenen Redaktionstür nutzen können. Wie das funktioniert und was das Team dabei über journalistisches Storytelling, KI und künstliche Blumenwiesen gelernt hat, haben uns Joachim und Sigrid zum Abschluss der MIZ-Förderung verraten.

Das Projektteam von Was krabbelt da?
Das Projektteam von "Was krabbelt da?" (v.l.n.r.): Dr. Sigrid März, Joachim Budde, Dr. Jakob Vicari, Theresa Hradilak und Berater Max Sittinger

Bekanntlich schützen die Menschen ja nur, was sie kennen. Damit etwas gegen das Insektensterben passiert, müssen viel mehr Menschen viel mehr über Insekten erfahren."

Lieber Joachim, liebe Sigrid, warum habt ihr euch entschieden, eine neue technologische Anwendung für die Berichterstattung über Biodiversität zu entwickeln? Und warum fokussiert ihr euch dabei gerade auf Insekten?

Joachim Budde: Insekten sind ziemlich unscheinbar. Viele Menschen beachten sie kaum, außer sie stechen sie oder sitzen auf ihrem Pflaumenkuchen. Dabei sind Insekten das Fundament der Nahrungspyramide. Ohne Insekten gibt es auch keine höheren Tiere, keine Vögel, auch keine Säugetiere. Und dieses Fundament bröckelt, Stichwort: Insektenschwund.

Gleichzeitig gibt es unglaublich viel Interessantes zu entdecken im Reich der Insekten, so viele Geschichten zu erzählen. Wir wollen dabei helfen, Anlässe zu schaffen, um über Insekten und ihre Rolle zu berichten. Bekanntlich schützen die Menschen ja nur, was sie kennen. Damit etwas gegen das Insektensterben passiert, müssen viel mehr Menschen viel mehr über Insekten erfahren.

Wir haben eine Schnittstelle entwickelt, die die Daten von der Kamera in Echtzeit auf einen Server überträgt. Dort bestimmt ein Skript die Tiere. Das ermöglicht Biodiversitätsberichterstattung in Echtzeit."

Euer Projekt basiert auf der Insektenkamera „Insect Detect“. Was kann die Kamera und was habt ihr in eurem Projekt entwickelt, um sie für den Journalismus zu nutzen?

Joachim: Die Kamera beobachtet eine künstliche Wiese, eine grüne Plastikplatte mit bunten Punkten. Setzen sich Insekten darauf, erkennt die Kamera die Tiere, verfolgt sie und fotografiert sie. Die Bilder speichert ein kleiner Rechner auf einer SD-Karte. So oft die Biolog:innen, die „Insect detect“ entwickelt haben, es wollen, können sie die Daten von der Karte auf einen Rechner übertragen. Eine Künstliche Intelligenz analysiert die Bilder und bestimmt die Insekten. Ein Riesen-Vorteil der Kamera ist, dass sie preiswert und mobil ist. Man kann sie im Prinzip überall aufstellen.

Für den Journalismus war dieses System allerdings eine Sackgasse. Wir haben eine Schnittstelle entwickelt, die die Daten von der Kamera in Echtzeit auf einen Server überträgt. Dort bestimmt ein Skript die Tiere. Diese Daten lassen sich über das Dashboard abrufen. Das alles dauert wenige Sekunden. Das ermöglicht Biodiversitätsberichterstattung in Echtzeit.

Die Kamera von Was krabbelt da? auf der Potsdamer Freundschaftsinsel Joachim Budde vom Projektteam
Kooperation mit Radio Potsdam: Die Insektenkamera im Einsatz auf der Potsdamer Freundschaftsinsel und Joachim Budde zu Gast im Vormittagsprogramm. 🔊 Hier könnt ihr den Beitrag nachhören.

Ihr habt verschiedene Projekte mit Kooperationspartnern umgesetzt. Welche waren das und welche Ergebnisse sind dabei herausgekommen?

Sigrid März: Für ein Pilotprojekt haben wir die Kamera Ende Mai auf der Freundschaftsinsel mitten in Potsdam aufgestellt. Das Dashboard und die Daten von der Kamera haben wir Radio Potsdam zur Verfügung gestellt. Die Kolleg:innen haben sie eine Woche lang für kleine Meldungen in ihrer Vormittagsschiene verwendet. Außerdem haben sie in Interviews „Was krabbelt da?“ vorgestellt. Das hat sehr gut funktioniert, und wir haben ein sehr positives Feedback von Radio Potsdam bekommen.

Im Juni sind wir mit der Kamera zum Museum Koenig in Bonn umgezogen und haben das Dashboard zwei Klassen einer Grundschule zur Verfügung gestellt. Außerdem haben uns die Kinder zweimal an der Kamera besucht. Sie hatten selbst Insekten gesammelt und sie von der Kamera bestimmen lassen. Daraus  sind kleine Projekte und Referate entstanden.

Welche journalistischen Formate lassen sich mit eurem technologischen Aufbau umsetzen?

Joachim: Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt. Das hängt sehr davon ab, wie viel Insekten-Expertise in einer Redaktion vorhanden ist oder wie viel Expertise ein Medium einzukaufen bereit ist. Und wie lange die Kamera laufen kann oder soll.

Aber nicht nur Redaktionen können das System nutzen, auch einzelne Journalist:innen, die zum Beispiel einen Aufhänger für regionale Berichterstattung rund um Biodiversität benötigen. Sie könnten die Kamera an einem gut besuchten Ort in der Region aufstellen und um das Projekt herum journalistische Inhalte für verschiedene Kanäle produzieren.

Wenn ihr euch ein Format ausdenken dürftet, das ihr mit „Was krabbelt da?“ gerne umsetzen würdet, welches wäre das?

Sigrid: Es wäre schön, so ein Projekt mit einem Netzwerk an Journalist:innen und Redaktionen gleichzeitig umsetzen zu können. Zum Beispiel: Große Regional- und Lokalzeitungen stellen Kameras auf, und die Berichterstattung über Insekten und Biodiversität findet konzertiert statt. Das hätte eine Schlagkraft und Reichweite, die der Relevanz des Insektensterbens gerecht würde.


Das Dashboard von "Was krabbelt da?" in der mobilen Ansicht – hier beim Inspiration Day 2024 von MIZ, mabb und Netzwerk Recherche. Foto: Beata Böttcher-Sisak

Für einen interessanten, konstruktiven, neugierigen Journalismus über Insekten ist es gar nicht nötig, statistisch valide Daten zu erhalten. Es geht darum, Insekten und ihre Geschichten (be)greifbar zu machen."

Wo liegen aktuell die Grenzen der Kamera und eures technologischen Aufbaus? Und was würdet ihr euch in Sachen Weiterentwicklung der Kamera wünschen, damit ihr sie noch besser für journalistische Zwecke nutzen könnt?

Joachim: Die Kamera beobachtet eine künstliche Wiese. Leider ist die noch nicht sonderlich attraktiv für Insekten beziehungsweise es finden sich stets die gleichen Insektenklassen ein. Schmetterlinge zum Beispiel lassen die Wiese links liegen. Es wäre großartig, wenn die Wiese angepasst und so für viel mehr Insekten spannend würde.

Auch die KI der Forscher:innen vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) steckt noch in den Anfängen. Statische Aussagen – etwa, wie viele Insekten und welche Insektengruppen an diesem Standort vorkommen – sind deshalb schwierig bis unmöglich. Die Wissenschaftler:innen entwickeln sowohl die Kameratechnik als auch die Algorithmen hinter der KI stetig weiter, sodass die Daten mit der Zeit sicherlich besser werden.

Allerdings: Für einen interessanten, konstruktiven, neugierigen Journalismus über Insekten ist es gar nicht nötig, statistisch valide Daten zu erhalten. Es geht darum, Insekten und ihre Geschichten (be)greifbar zu machen. Dafür reicht es schon, wenn die Wiese eine größere Anzahl und Vielfalt an Insekten anlockt und die KI sie zuverlässig bestimmt.

Eine zusätzliche Herausforderung ist es, Redakteur:innen vom Thema Insekten allgemein und von „Was krabbelt da?“ zu überzeugen.

Auf GitHub haben wir den gesamten Code veröffentlicht, die Kameratechnik ist ebenso Open Source. Du kannst alles für dein Projekt anpassen."

Wie können Journalist:innen die von euch entwickelte Infrastruktur für ein eigenes Projekt nutzen und mit euch zusammenarbeiten?

Sigrid: Du erreichst uns über unsere Website https://waskrabbeltda.de. Schreib uns einfach eine E-Mail und wir denken gemeinsam darüber nach, wie deine Umsetzung aussehen könnte. Auf GitHub haben wir außerdem den gesamten Code veröffentlicht, die Kameratechnik ist ebenso Open Source. Du kannst alles für dein Projekt anpassen. Melde dich gern, wir freuen uns auf deine Nachricht.

>>> zur Website von „Was krabbelt da?“
>>> Projektseite von „Was krabbelt da?“ auf der MIZ-Website

Ansprechperson

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Marion Franke

Förderung

Marion leitet den Bereich Innovationsförderung. Sie ist Ansprechpartnerin für alle Fragen zu den Förderbedingungen, der Antragstellung und verantwortlich für die Betreuung der Projekte.

+49 331 58 56 58-26

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