Warum braucht der Lokaljournalismus Experimente?

Portraitfotos von Leon Fryszer, Janina Martens und Christine Keilholz vom Projektteam Lokalkomplizen

Ein digitales Lokalmagazin entwickeln, das sich langfristig durch seine Mitglieder finanziert – das hatte sich das Projektteam Lokalkomplizen im Rahmen der MIZ-Innovationsförderung mit dem Partner Krautreporter zum Ziel gesetzt. Ab Januar 2022 setzte ein interdisziplinäres Team in Cottbus den Lokalnewsletter „Der Bus“ um, begann mit dem Aufbau einer Community von Leser:innen und entwickelte ein innovatives Empfehlungssystem für die Akquise neuer Abonnent:innen.

Sechs Monate später hat es das Team zwar nicht geschafft, das Abo-Ziel zu erreichen, das für eine Fortsetzung des Experimentes notwendig gewesen wäre. Dennoch war das Projekt nicht umsonst. Wir haben mit Christine Keilholz (Teil des Projektteams in Cottbus), Janina Martens (freie Journalistin und Projektleiterin für Lokalkomplizen) und mit Leon Fryszer (Co-Vorstand der Krautreporter eG) darüber gesprochen, welche Learnings sie aus dem Projekt mitnehmen, welchen Impact „Der Bus“ auf die Medienlandschaft in der Lausitz hatte und warum der Lokaljournalismus weiterhin Experimente braucht.

„Der Lokaljournalismus braucht eine Zukunft, die nicht die gedruckte Lokalzeitung ist. Aber wir müssen mehr tun als einfach Papier durch Webseiten zu ersetzen. Wir brauchen neue Formate, neue Recherchemethoden, neue Technologien, neue Arbeitsabläufe.“

Liebe Christine, liebe Janina, lieber Leon, das Projekt Lokalkomplizen war als Experiment geplant. Warum braucht der Lokaljournalismus solche Experimente?

Leon Fryszer: Es gibt immer weniger Menschen, die Lokalzeitungen lesen, die Zustellung der Zeitung wird immer schwieriger und junge Menschen interessieren sich immer weniger für das Geschriebene. Der Lokaljournalismus braucht also eine Zukunft, die nicht die gedruckte Lokalzeitung ist. Aber wir müssen mehr tun als einfach Papier durch Webseiten zu ersetzen. Wir brauchen neue Formate, neue Recherchemethoden, neue Technologien, neue Arbeitsabläufe. Diese zu entwickeln heißt Experimentieren.


Das Thema der ersten Bus-Recherche: die Stadtbrache in Cottbus

Welche Erfahrungen habt ihr gesammelt, was hat gut funktioniert und was nicht? Und wie habt ihr eure Strategie im Laufe des Projektes angepasst?

Janina Martens: Wir haben gute Erfahrungen damit gesammelt, es einfach zu halten. Ghost als All-in-one-Plattform zur Produktion unseres Newsletters und Veröffentlichung auf einer Website hat gut funktioniert. Wir konnten damit schnell loslegen und die Produktion aufnehmen – und es bietet auch die Möglichkeit, Bezahlcontent zu produzieren.

Leon Fryszer: Da das Tool Open-Source-Technologie ist, konnten wir einige Änderungen vornehmen, die nötig waren, um das Tool zu übersetzen und mit unserem Empfehlungstool integrieren zu können. Viral Loops haben wir dann als Service für die Empfehlungen integriert. So konnten wir einfach starten. Wir mussten aber auch merken: Die technologische Lösung ist nur ein kleiner Schritt, erst nach einigen Wochen zeigten die Empfehlungen erste Erfolge. Uns fehlte vorher wohl einfach das Vertrauen der Leser:innen.

„Der Bus hat Cottbus eine neue und frische journalistische Stimme gegeben. Unser Projekt hat gezeigt, dass ein modernes und unabhängiges Format in Cottbus funktionieren kann.“

Welchen Impact hatte euer Projekt? Habt ihr den Eindruck, dass ihr die Medienlandschaft vor Ort mit eurem Newsletter verändert habt?

Christine Keilholz: „Der Bus“ hat Cottbus eine neue und frische journalistische Stimme gegeben. Unser Projekt hat gezeigt, dass ein modernes und unabhängiges Format in Cottbus funktionieren kann. Der Bus hat Cottbus mit dem lokalen Community-Journalismus vertraut gemacht. Wir konnten eine Community versammeln, die sich für unsere Texte interessiert hat und haben ihr das Format des Newsletters nahegebracht.

„Auch wenn es banal scheint, eine wichtige Erkenntnis war: Empfehlungen kommen erst, wenn Vertrauen da ist. Und Vertrauen braucht Zeit.“

Was würdet ihr anders machen, wenn ihr das Projekt „Lokalkomplizen“ mit dem Wissen von heute noch einmal planen würdet?

Janina: Mehr Zeit einplanen. Ein halbes Jahr war ein guter Zeitraum, um als Team zusammenzuwachsen, Strukturen aufzubauen, ein Produkt zu entwickeln und in einen Produktionsrhythmus zu kommen. Doch um von unserem kostenlosen Newsletter auf eine Bezahlversion umzustellen und unser Empfehlungstool zu etablieren, also Menschen dazu zu bewegen, ihn weiterzuempfehlen, bräuchte es mehr Zeit. Auch wenn es banal scheint, eine wichtige Erkenntnis war: Empfehlungen kommen erst, wenn Vertrauen da ist. Und Vertrauen braucht Zeit.


Friederike Lehmann vom Projektteam in Cottbus bei der Arbeit im "Bunten Bahnhof" in Cottbus

„Fokus statt Überfrachten! Wir sind gut gefahren mit einem simplen Content Management System, einer größeren Geschichte pro Woche und der Präsenz auf nur zwei Social-Media-Kanälen.“

Was sind eure fünf Dos & Don’ts für andere Journalist:innen, die ein lokales Angebot auf den Weg bringen wollen?

Janina: 1. Fokus statt Überfrachten! Wir sind gut gefahren mit einem simplen Content-Management-System, einer größeren Geschichte pro Woche und der Präsenz auf nur zwei Social-Media-Kanälen. 2. Umfragen machen und der Community zuhören! Die Menschen in der Stadt wissen am besten, was los ist, was sie interessiert und was in Medien bisher unterrepräsentiert ist. 3. Nische und Breite mischen! Über die „Aufregerthemen“ der Stadt aus neuen Perspektiven zu berichten, hat uns viele Abos gebracht. 4. Trial and Error! Aufs Ganze gehen, experimentieren und dann auch mal scheitern. Eine polarisierende Geschichte kann zwar dazu führen, dass Leute den Newsletter abbestellen, aber sie bringt auch Aufmerksamkeit. 5. Teamwork! Es geht nur mit gegenseitiger Wertschätzung, klarer Aufgabenteilung und einer guten Feedbackkultur.


Das Team hinter dem Projekt beim Abschlusstreffen in Cottbus: Friederike Lehmann, Janina Martens, Leon Fryszer, Christine Keilholz (v.l.n.r.)

Das Besondere an dem Projekt „Lokalkomplizen“ war, dass das dreiköpfige Team für das Projekt ganz neu zusammengestellt wurde. Welche Pläne habt ihr? Bleibt ihr Cottbus und dem Lokaljournalismus verbunden?

Christine: Wir haben als Team durch die Arbeit am Bus Cottbus für uns entdeckt. Cottbus und die Lausitz sind ein spannendes Umfeld, um neue journalistische Formate auszuprobieren. Auch dem Format Newsletter bleiben wir treu. Friderike, Christina und ich sind inzwischen erfolgreich mit einem anderen Produkt. Das „Neue Lausitz Briefing“ spricht die Gestalter des Strukturwandels an, die den Weg der Lausitz weg von der Kohle hin zu einer neuen Wirtschaft bereiten. Der kostenpflichtige Premium-Newsletter geht nach zwei Monaten Bezahlbetrieb an rund 100 Empfänger:innen.

>>> Mehr über das Projekt Lokalkomplizen
>>> Blog zu Lokalkomplizen: Was das Team während des Projekts gelernt hat, hat es in einem Blog aufgeschrieben
>>> Digitales Lokalmagazin "Der Bus"

Ansprechperson

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Marion Franke

Förderung

Marion leitet den Bereich Innovationsförderung. Sie ist Ansprechpartnerin für alle Fragen zu den Förderbedingungen, der Antragstellung und verantwortlich für die Betreuung der Projekte.

+49 331 58 56 58-26

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